Vogelschiss, Affenschiss, und dann kommt der Hirnschiss?!
Postkarte: Aus der Ausstellung, Urheberin Nele Reinhardt
Im Rahmen eines praktischen Kurses Anfang 2020 unter der Leitung von Prof. Pelin Celik haben Studierende der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Postkarten erstellt, die verschiedene Aspekte von Rassismus thematisierten. Heute sprechen wir mit Ogan und Theresa, die beide Industrial Design an der HTW studieren und Teil dieses Projekts waren.
RawafedZusammenfluss: Hallo ihr beiden. Danke, dass ihr euch die Zeit nehmt und uns hinter die Kulissen des Kurses führt. Vielleicht zum Einstieg: Wie kam es zum Projekt?
Ogan: Unser Auftrag war es, fünf Postkarten zu erstellen, die das Thema Rassismus beinhalten, aber zunächst einmal haben wir diskutiert. Viel diskutiert. Wohin soll das Projekt gehen? Wie politisch oder narrativ soll es werden? Die meisten von uns sind dann politisch ran gegangen. Da mich Rassismus selbst emotional berührt, habe ich eine Kurzgeschichte erzählt.
Rawafed: Magst du etwas genauer auf die Geschichte eingehen?
Ogan: Eigentlich ist es eine abgewandelte Geschichte zu mir selbst. Es geht um den Protagonisten Faruk, der eine schwierige Zeit hinter sich hat und gerade in der 5. Klasse ist. Er hatte Stress mit seiner Familie, weil seine Eltern sich gestritten haben und der Vater ihn und seine Schwester in die Türkei mitgenommen hat. Dann gab es ein großes Drama, die Mutter kam und hat sie wieder nach Berlin gebracht. Für Faruk war es wichtig, wieder zuhause und bei seinen Freund*innen zu sein, die ebenso in der Geschichte eine Rolle spielen. Es geht um seinem Kiez, in Charlottenburg, aber nicht dem schönen Teil, sondern den am Iburger Ufer. Dort war es schön, nur eben nicht im Altbau, sondern in der Platte. Ich erzähle von ihm und seiner Geschichte in der Schulzeit. In der Schule fallen ihm ein paar Sachen auf. Er hat einen Vortrag mit Jakob und danach lobt die Lehrerin Faruks Aussprache und nicht die von Faruk. In der Geschichte sind noch mehr Beispiele, die ihr euch gerne später durchlesen könnt. In den Postkarten geht es letztlich um die Vermittlung des Gefühls, das Faruk in den Momenten hatte, kein bewusstes Gefühl, eher eines, das im Nachhinein durch das Älterwerden und Nachdenken Konturen annimmt.
Rawafed: Theresa, wie war dein Zugang zu dem Thema, ohne selbst von Rassismus betroffen zu sein?
Theresa: Viele Kommiliton*innen haben sehr persönliche Erfahrungen mit Rassismus gemacht, machen sie Tag für Tag und andere wie ich eben nicht. Es ist so wichtig, erst einmal Verständnis zu schaffen für die Bedeutung dieser Erfahrungen, die man selbst nicht erlebt. Mein Thema war deshalb eines, das wohl alle kennen: die Diskussion in der Familie. Ich wollte Verwandten nahe bringen, warum das Thema relevant und problematisch ist und das endete in einem ziemlichen Streit. Die Verwandten waren auf keinen Fall bewusst rassistisch, aber das ist ein schmaler Grad. Wo fängt das an? Mir hat „Exit Racism“ von Tupoka Ogette sehr geholfen zu verstehen. Zum Beispiel thematisiert sie Mikroaggressionen, kleine Äußerungen, die vermeintlich positiv aufgefasst werden können: Du sprichst super Deutsch! Deine Haare sehen so schön aus! Du bist gut in Mathe! Trotzdem sind das Stereotype, die ausgrenzen und verletzen. Diesen Aspekt habe ich versucht, in den Postkarten zu visualisieren. Ogette nimmt für diese Erlebnisse das Bild der Mückenstiche. Ein, zwei Stiche am Tag sind vielleicht nicht so schlimm, aber jeden Tag zig Stiche sind enorm kraftraubend und schmerzhaft. Darauf gehen meine Postkarten ein.
Rawafed: Das unbewusste und vermeintlich Positive zeigt ja, dass die Intention eigentlich keine Rolle spielt.
Theresa: Es geht um die Konsequenz der Handlung. Ogan, darf ich da vorgreifen?
Ogan: Nur zu!
Theresa: Noch ein anschauliches Bild von Ogette: Ein Auto fährt über deinen Fuß. Das tut höllisch weh. Nun steigt der*die Fahrer*in aus und entschuldigt sich. Er*Sie habe das nicht gewollt. Der Schmerz bleibt. Wir sollten also vielmehr das Gegenüber in den Fokus nehmen und nicht die eigene Absicht
Ogan: Ich bin Sohn von Migrant*innen, habe aber Rassismus nicht so schmerzhaft erfahren, dachte ich lange. Im Gespräch mit meinen Kommiliton*innen und durch die Arbeit mit den Postkarten wurde mir klarer, wie diese Mikroaggressionen wirken. Wenn mir jetzt jemand sagt, dass ich gut Deutsch spreche, entgegne ich: „Ja klar, Dicker, bin ja auch hier geboren!“
Rawafed: War das ein langer Prozess?
Ogan: Absolut! Ganz unbewusst. Durch die Mückenstiche wirst du abgehärtet für die Kleinigkeiten im Alltag.
Rawafed: Wie sind deine Erfahrungen heute? Nimmst du Veränderungen im Verhalten deiner Mitmenschen war?
Ogan: In beide Richtungen, würde ich sagen. Mit den Querdenker*innen sehen wir, dass viele Menschen rechtes Gedankengut annehmen und damit Leute erreichen, die Sorgen haben. Diese werden dadurch noch verstärkt. Das schürt Hass und Rassismus, was für mich eine Verschiebung zur schlechteren Seite zeigt.
Theresa: Betroffene bekommen mehr Gehör und gleichzeitig kann ein Dieter Nuhr sich hinstellen und dem Buch von Alice Hasters Rassismus gegenüber weißen Menschen attestieren. Da fasse ich mir nur noch an den Kopf. Der Typ repräsentiert aus meiner Sicht den Humor und die Einstellungen vieler Menschen in diesem Land. Da haben wir noch so viel zu tun.
Ogan: Es ist wie ein Tauziehen. Es ist viel anstrengender für anti-rassistische Menschen, ihre Stimmen laut zu machen. Es ist so viel einfacher, Blödsinn zu erzählen als ihn zu widerlegen.
Rawafed: Je inklusiver wir als Gesellschaft werden, desto mehr wird das Errungene in Frage gestellt.
Ogan: Ja, das macht Angst, vor allem, wenn man darüber nachdenkt, in welche Richtung das gehen kann. Ich sitze zwar jetzt nicht angsterfüllt zuhause, aber je intensiver ich mich mit dieser Entwicklung auseinander setze, desto beängstigender finde ich sie.
Theresa: Voll! Allein, was bei Corona-Demos sagbar ist. Das ist absurd, dahinter steht aber ein großes Problem. Rechts sein, ist attraktiver geworden, jünger, dynamischer. Selbst Leute, die sich nicht politisch verorten, kommen damit in Kontakt.
Rawafed: Häufig wird gefordert, es brauche mehr und besseren Geschichtsunterricht. Wo würdet ihr ansetzen?
Ogan: Die Geschichte mit aktuellen Entwicklungen aus der Gegenwart gegenüberstellen. Wie haben es die Nazis früher gemacht und welche Strategien fahren die Neurechten heute? Daran zeigt sich doch, dass es im Grunde sehr ähnlich ist, nur anders verpackt.
Theresa: Besonders für junge Menschen ist Geschichtsunterricht sehr abstrakt.
Ogan: Ist ja klar. Ging mir doch ähnlich. Nur, was ich es mit Gefühlen verknüpfen konnte, blieb hängen. Deswegen war mir diese Ebene bei den Postkarten so wichtig. Gefühle sagen so viel mehr als Worte.
Theresa: Gerade, weil wir Verschwörungstheorien schwer mit Logik daraus befreien können.
Ogan: Unsere Professorin in Wahrnehmungspsychologie macht den Kurs ja schon ein paar Jahre. Ich denke, aus dem Interesse heraus, Diskurse mitzugestalten. Das kann ein gewinnbringender Ansatz sein. Der Kurs lebt sehr stark von seiner Diskussionskultur und davon, mit Menschen zu sprechen, die nicht aus deinem Umfeld sind. Der Kurs dreht sich um Wahrnehmung und letztlich hat sich auch meine eigene Wahrnehmung des Themas gewandelt.
Rawafed: Hattet ihr bestimmte Gespräche zwischen euch Kommiliton*innen vorher noch nicht?
Ogan: Definitiv. Der Kurs teilt sich auf in Studierende der Kommunikations- und des Industrialdesigns. Allein schon disziplinübergreifend hatten wir kaum Kontakte vorher, aber auch nicht unbedingt zu allen Mitstudierenden. Da kamen wir schon an Punkte in den Diskussionen, die sehr polarisiert haben. Das war gut. Du erkennst dich darin selbst und lernst, deine eigene Sicht auf Dinge zu vermitteln.
Rawafed: Würdet ihr euch dafür aussprechen, dass Gespräche, die wir uns nicht aussuchen, mehr Raum bekommen
Theresa: Ja, es ist wichtig, zu lernen, mit Leuten zu diskutieren, die sehr andere Meinungen vertreten. Das verlernst du echt schnell. Wie viele Menschen haben wir denn, ehrlich gesagt, im eigenen Freund*innenkreis, die gänzlich andere Ansichten oder Wertvorstellungen haben? Das ist eine enorm wichtige Fähigkeit, sich gegenseitig zuzuhören, anstatt sich Totschlagargumente um die Ohren zu pfeffern.
Ogan: Vor meinem jetzigen Studium habe ich eine Weile Fahrzeugtechnik studiert. In keiner Weise war Politik dort ein Themenfeld oder generell zwischenmenschliche Diskussionen. Es ging um Lösungen. Beim kreativeren Studium habe ich gelernt, dass Professor*innen und Dozent*innen sich zum Beispiel ganz selbstverständlich sehr viel Mühe geben, zu gendern. Ich sehe nicht das Problem, dass unser Studiengang nicht divers ist, aber das geht nicht allen so. Es gibt Orte, wo ich Wertschätzung bekomme und Orte, wo das nicht der Fall ist.
Rawafed: Was sind für euch inklusive Räume?
Theresa: Wenn das Umfeld nicht uniform sind, sich die Lebensgeschichten unterscheiden. Da kannst du dich dich selbst herausfordern und deine Comfortzone verlassen.
Ogan: Das bringt echt am meisten. Allein, dass wir heute hier sitzen. Seit gestern war ich nervös, das Interview mitzumachen, und jetzt ist es so ein spannendes Gespräch. Der Mehrwert ist immer da!
Katha koordiniert InteraXion, Willkommensbüro und Wohnraumberatung für Menschen mit Migrations- und Fluchterfahrung in Treptow-Köpenick. Sie begleitet RawafedZusammenfluss von hauptamtlicher Seite. Journalistische Erfahrung konnte sie durch verschiedene Projekte der Jugendpresse und dem Studierendenmagazin UnAufgefordert sammeln. Wenn sie nicht nach neuen Geschichten sucht, tummelt sie sich in Boulderhallen.
Katha coordinates InteraXion, the welcome office for migrants* and refugees in Treptow-Köpenick and accompanies RawafedZusammenfluss through her work. She gained journalistic experience through various youth press projects and the student magazine UnAufgefordert. When she is not looking for new stories, she spends her time in bouldering halls.